Der Lebenszyklus des Schlauchpilzes Cordyceps sinensis zeigt einen üblen Zeitgenossen: Seine Sporen befallen im Erdreich Raupen eines Nachtfalters. Der Parasit frisst sie über den Winter praktisch von innen auf. Sie wird ausgehöhlt und mit Pilzfäden, sogenannten Myzelen, gefüllt. Aus ihr wird im Frühjahr kein Falter, sondern aus dem Boden wächst ein länglicher Pilz. Die Form erinnert eher an Gras als das, was wir von Champignon oder Pfifferling mit einem Pilz verbinden.
Wichtiges Mittel der Traditionellen Chinesischen Medizin
Die – aus Raupensicht – grausame Geschichte des Cordyceps haben die Chinesen wohl gekannt, denn in ihrer Sprache trägt er den Namen Dong Chong Xia Cao, was so viel bedeutet wie Winterraupe und Sommergras. Da ist es fast schon erstaunlich, dass man in der Traditionellen Chinesischen Medizin seine Heilkräfte entdeckte und er nun auch bei uns als Vitalpilz gilt. Wertvoll war der Cordyceps vor allem wegen des seltenen Vorkommens und der schwierigen Erntebedingungen. Zwischen dreitausend und fünftausend Meter hoch in die tibetischen Berge mussten Pilzsucher klettern, um ihn zu finden. Von einer erfolgreichen Tour brachten sie vielleicht zehn Pilze mit ins Tal. Ihren Lohn erhielten sie am Kaiserhof – das Gewicht des Cordyceps wurde im alten China vierfach in Silber aufgewogen. Bis heute ist wild gewachsener Cordyceps sehr teuer. Ein Kilopreis von 2.000 Euro liegt in der gleichen Größenordnung wie schwarzer Trüffel.
Kulturpilz statt Wildvariante
Wo Geld lockt, ist auch Forscherdrang. Die seit 1972 laufenden Bemühungen, der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, waren schließlich von Erfolg gekrönt. Wissenschaftlern gelang es, den Cordyceps sinensis zu kultivieren und anzubauen. Chemische Analysen zeigten, dass die Zusammensetzung der Unterart Cordyceps CS-4 fast exakt den wildwachsenden Pilzen entspricht. Mit diesem Nachweis erfolgte 1987 die Anerkennung der Kulturvariante in China als unbedenkliches Nahrungsmittel.
Breites Anwendungsspektrum
Der Kaiser im alten China hatte ein besonderes Interesse an Cordyceps. Der Pilz half ihm, seine vielen Gemahlinnen und Gespielinnen zufriedenzustellen. Diese Überlieferungen wecken auch heute noch die Neugier, nicht nur der Männer. Deshalb wurde die Wirkung auf Potenz bzw. Libido bei beiden Geschlechtern in Studien überprüft, mit recht beeindruckenden Ergebnissen. Ein Teil der Wirkung scheint darauf zurückzuführen zu sein, dass der Pilz stimmungsaufhellend wie ein Antidepressivum wirken kann, ohne psychoaktive Substanzen freizusetzen.
Im Sport gehen die Überlegungen dahin, Cordyceps leistungssteigernd einzusetzen, ohne den legalen Bereich des Dopings zu verlassen. Vermutet wird, dass der Pilz im menschlichen Körper für eine verstärkte Produktion von Adenosintriphosphat sorgt. Dieses körpereigene Molekül ist wichtig für unsere Muskeln und deren Energieversorgung.
Noch wenig erforschte Bereiche sind lebensverlängernde Wirkungen und der Einsatz in der Krebstherapie. Im Tierexperiment wurden bereits Erfolge nachgewiesen. Selbstverständlich ersetzt Cordyceps keine Krebsbehandlung, auch wenn im Laborexperiment Tumorzellen nach Zugabe des Pilzes verzögert gewachsen sind. Immerhin kann Cordyceps Nebenwirkungen einer konventionellen Behandlung abmildern und entzündungshemmend wirken. Die Dosierung hängt vom jeweiligen Einsatzgebiet ab. Etwa ein bis drei Gramm täglich sollten üblicherweise ausreichen, um positive Effekte zu erzielen.
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